Glasgow ist hässlich? Weit gefehlt! Glasgow ist schön und voller Leben: An jeder Ecke erklingt Musik. Künstler aus aller Welt zieht es in die Stadt. Und ein hipper Event jagt den nächsten. Ich möchte euch jetzt ein paar ganz besondere Orte vorstellen, die euch ein Wochenende voller Überraschungen bieten. Um das zu erleben, braucht ihr eigentlich nur den Spuren von Charles Rennie Mackintosh zu folgen. Der Architekt, Designer und Maler ist zwar schon 1928 gestorben, aber sein faszinierendes Erbe ist noch sehr gegenwärtig. Wer seinen Spuren folgt, kommt zu den spannendsten Orten in der Stadt.
„Big Mack“ – der verkannte Sohn
Mackintosh wird mittlerweile mit Superlativen und originellen Spitznamen – „Big Mack“ ist nur einer davon – überschüttet. Die er alle fraglos verdient. Denn das, was Mackintosh in Glasgow zwischen 1889 und 1913 geschaffen hat, kam einer Revolution gleich: Er kombinierte den Jugendstil mit japanischen Motiven und floralen Mustern. Brach mit den Konventionen und schuf ganze neue Formen. So entstand der sogenannte „Glasgow Style“, den Mackintosh zusammen mit seiner Frau Margaret MacDonald wesentlich prägte. Und ihr müsst beileibe keine Kunstkenner sein, um euch an der überbrodelnden Kreativität der beiden zu erfreuen.
Architektur-Führung auf Mackintoshs Spuren
Zur Einstimmung auf Glasgow empfehle ich euch eine „Mackintosh Walking Tour“. Die Architekturführung bringt euch zu dutzenden imposanten Bauten. Ihr seht viel Jugendstil, aber auch moderne Glaspalaste.
Die ungewöhnlichsten und überraschendsten Gebäude stammen dabei – natürlich – von Mackintosh selbst . Etwa das „Lighthouse“ – ein früheres Verlagshaus mit angeschlossener Druckerei. Es liegt mitten in der Stadt. Zwischen kleinen, engen Gassen taucht auf einmal dieser große, wuchtige Backsteinbau auf, der einer Burg gleicht. Um Wasser für etwaige Brände in dem Gebäude zu haben, hatte Mackintosh hier einen gewaltigen Wasserturm entworfen.
Sensationeller Ausblick vom Turm
Mittlerweile ist in dem Turm kein Wasser mehr, sondern eine lange Wendeltreppe. Die bin ich hochlaufen und habe dabei ein wenig geschnauft, denn es ist wirklich hoch.
Oben angekommen, gab es dann die Belohnung: einen sensationeller Ausblick über Glasgow. Die Aussichtsplattform ist offen. Es windet ein wenig. Aber der Aufstieg ist wirklich lohnend. Weiter unten dient das Lighthouse musealen Zwecken. Es gibt natürlich eine Mackintosh-Ausstellung, aber die ist eher klein. Dann noch einen Shop mit Mackintosh Devotionalien: Sein Konterfei ziert T-Shirts, Tassen und andere Dinge, die niemand wirklich braucht.
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Das hängende Wohnhaus der Mackintoshs in Glasgow
Noch ungewöhnlicher, und vor allem intimer, wird es dann im früheren Wohnhaus der Mackintohs. Es ist ein Gesamtkunstwerk – denn die Eheleute haben alles selbst entworfen: Das Gebäude, das Interieur, sämtliche Möbel. Hier hatte ich das Gefühl den beiden wirklich nahezukommen, denn das Haus ist voller origineller Einfälle. Als sich noch niemand in Glasgow für Macktintosh interessierte, diente das begehbare Kunstwerk als Gästehaus der örtlichen Universität. Akademiker aus aller Welt schliefen in dem Bett der Eheleute, saßen auf ihren Möbeln und ruinierten dabei so einiges.
Zu Lebzeiten geschmäht
Auch auf Mackintosh trifft nämlich zu, was für viele Künstler galt und sicherlich immer noch gilt: Er wurde zu Lebzeiten wenig geschätzt. (Weibliche Künstler, wie die hochbegabte Margaret MacDonald, wurden eh ignoriert.) Und am wenigsten womöglich in seiner Heimatstadt. Es hat lange gedauert, bis Mackintoshs Meisterschaft von seinen Landsleuten erkannt wurde. Und so wurde das Original Wohnhaus 1963 abgerissen. Das Gebäude, das ihr heute besichtigen könnt, ist ein detail- und maßstabgetreuer Nachbau. Es hängt gleich neben einer großen Galerie. Und hängen ist hier wirklich die richtige Vokabel – die Haustür hängt tatsächlich in der Luft, wie ihr auf dem Bild oben seht. Bei den sehr unterhaltsamen Führungen dürft ihr allerdings nicht einmal in die Nähe der restaurierten Möbel kommen. So wertvoll ist Mackintoshs Erbe den Schotten heute.
Die fantastischen Zwei
Kennengelernt haben sich Charles und Margaret an der Glasgower Kunstschule. Margaret MacDonald ging morgens zur Schule, denn dann durften Frauen zum Unterricht kommen. Charles Mackintosh nachmittags, wenn die Männer dran waren. Aber natürlich hatten die Geschlechter Berührungspunkte – es war ja nicht Saudi-Arabien. Und beide haben sich auf menschlicher und künstlerischer Ebene gefunden.
Zusammen haben die Mackintoshs die Innenausstattung für diverse Gebäude entworfen. Legendär sind ihre „Tea-Rooms“. Und in späteren Jahren – die Eheleute lebten nur bis 1914 in Glasgow und Mackintosh hat nur in dieser Zeit als Architekt gearbeitet – haben sie zusammen gemalt. So gibt es eine ganze Reihe von Gemälden mit einer Doppelsignatur. Es kursiert in Glasgow sogar der Spruch, dass Mackintosh sich selbst als talentiert, seine Frau hingegen als das wahre Genie bezeichnet habe.
Faszinierende Ausstellung in einem ebensolchen Gebäude
Mehr über das wechselhafte Leben der beiden erfahrt ihr in der Kelvingrove Art Gallery. Das backsteinfarbene, schlossähnliche Gebäude thront auf einem Hügel. Als ich es besucht habe, hat ein Möwenpärchen lautstark vor dem Museum geflirtet. Dunkle Wolken rasten über das Gebäude und Bäume wogten im Wind – ich fand es wunderbar schottisch.
Die Ausstellung dokumentiert das ganze Lebenswerk der Mackintoshs – mit Focus auf ihrer Glasgower Zeit. Besonders interessant fand ich die Zeichnungen von Gebäuden, die Mackintosh zwar entworfen hat, die aber nie gebaut wurden. Meine Lieblingswerke stammen allerdings von Margaret MacDonald. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Frances hat sie märchenhafte, mystische Frauengestalten gemalt. Ich fühlte mich bei ihrem Anblick an keltische Priesterinnen oder an Macbeths Hexen erinnert.
Die fantastischen Vier aus Glasgow
Frances Macdonald, Margarets jüngere Schwester, war mit einem Freund von Mackintosh verheiratet, dem Architekten James Herbert McNair, und zusammen galten die beiden Künstlerpaare als „The Glasgow Four“. Auf alten schwarz-weiß Fotos, die in der Ausstellung hängen, könnt ihr sie sehen: Fesch gekleidet und voller Lebensfreude.
Weitere Mackintosh-Bauten in Glasgow, die begeistern
Die Queen’s Cross Church hat zwar keine Gläubigen mehr, dafür aber viele Jünger. Denn Mackintosh-Fans aus aller Welt strömen in die einzige Kirche, die er gebaut hat. Außen eher ein unauffälliger Backsteinbau entfaltet die Kirche im Inneren ihre architektonische Wucht: Mit gelenkten Lichteinfallen und spektakulärer Akustik.
Last but not least: das „House for an Art Lover“ – es ist nach Plänen von Macktintosh etwas außerhalb von Glasgow gestaltet worden und wirkt wie ein Märchenort. Hier ist das Spiel von Schwarz und Weiß, das Mackintosh als Spiel der Geschlechter betrieb, perfektioniert. Dunkle Räume mit massiven Möbeln symbolisierten für Mackintosh das Männliche und Möbel, die so leicht und luftig wirken, als ob sie fliegen könnten, standen bei ihm für das Weibliche.
Die Recherchereise für „Glasgow – Ein Wochenende voller Überraschungen“ wurde von Glasgowlife und visitbritain unterstützt. Vielen Dank dafür.
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