In Okzitanien gehen die wildromantische Landschaft und die traurige Geschichte der Katharer eine dramatische Verbindung ein: Ruinen zeugen vom verzweifelten Kampf gegen die Kreuzritter. Und ein Weitwanderweg folgt den Fluchtrouten der Katharer vom Mittelmeer bis in die Pyrenäen. Hunderte Legenden ranken sich um die Region im Süden Frankreichs: Sie handeln von den Tempelrittern und dem heiligen Gral, den viele hier zu finden hoffen. Ich habe Okzitanien – das geheimnisvolle Land der Katharer besucht und bin dabei an erstaunliche Orte gekommen, von denen ich euch jetzt berichten möchte.
Montségur – die letzte Festung der Katharer
Glatt und glänzend sind die schmalen Steinstufen. Generationen von Besuchern sind über sie schon nach Montségur gewandert – der wichtigsten Katharer-Festung in den Pyrenäen. Einem Adlernest gleich thronen die Ruinen auf 1.200 Metern. Ich schließe mich einer geführten Tour von Tristan Bergerot an. Der junge, sportliche Mann legt ein strammes Tempo vor. Auf einer offenen Fläche hält er an und wartet, bis die Gruppe zu ihm aufgeschlossen hat. Denn auf diesem unscheinbaren Feld ist das größte Verbrechen an den Katharern verübt worden.
Wer waren die Katharer?
Wer waren die Katharer? Sie waren Vegetarier und lehnten die Ehe ab. Genauso wie den Prunk der katholischen Kirche und den Zehnten, den die Menschen im Mittelalter zahlen mussten. Sogar Frauen wurden von ihnen zu Priesterinnen geweiht. Der Papst ging deshalb mit aller Härte gegen die Häretiker vor. Und rief zum Kreuzzug gegen die christliche Religionsgemeinschaft auf, die wir heute unter der Bezeichnung „Katharer“ kennen.
Scheiterhaufen für 225 Menschen in Montségur
Nichts erinnert zu Füßen der Festung Montségur an das schreckliche Geschehen. Verstreuten Bonbons gleich wachsen rote, gelbe und lilafarbene Wildblumen auf dem Feld. Der Wind trägt das freundliche Bimmeln Dutzender Kuhglocken herüber. Es riecht nach Heu und Holz. Die Wanderer genießen die Morgensonne – bis Tristan zu berichten beginnt. Schlagartig ändert sich die Stimmung: Denn am 16. März 1244 starben genau an dieser Stelle 225 Katharer grausam auf dem Scheiterhaufen. Der jüngste von ihnen war gerade einmal sechs Jahre alt. Doch weder Jugend, Alter noch Gebrechlichkeit war für die katholischen Verfolger ein Grund, die Häretiker zu verschonen.
Die sagenumwobene Burg der Katharer
Wenige Meter weiter steht ein kleiner Gedenkstein am Wegesrand, der an die Gräuel erinnert. Dann beginnt der eigentliche Anstieg. Je weiter wir auf dem schmalen Pfad nach oben steigen, desto weiter reicht der Blick. Links liegt Montségur, das gleichnamige Dorf, zu Füßen des Berges. Sonnenstrahlen glitzern auf den roten Ziegeldächern und beleuchten einen kleinen Friedhof.
Der Weg schlängelt sich in Serpentinen nach oben. Nach einer engen Kurve taucht unvermittelt ein Steinhäuschen vor uns auf. Das Häuschen im Wald ist der Arbeitsplatz von Elisabeth.
Elisabeth kassiert das Eintrittsgeld. Verkauft Hochglanz-Postkarten von Montségur und gibt geduldig Auskunft. Die meisten Besucher beteuert sie, sind nette Menschen. Aber in den 15 Jahren, die sie auf dem Berg arbeitet, gab es auch schon ein paar weniger schöne Situationen.
Hoteltipp für Okzitanien – das geheimnisvolle Land der Katharer
Ich habe vor Ort in einem kleinen, typisch französischen B & B, dem Chambres d’Hôtes Domaine du Hameau Baylesse*, übernachtet, das ich euch gerne empfehlen möchte. Die Fotos vermitteln m.E. einen guten Eindruck von der schönen Lage und geschmackvollen Einrichtung. Die Gastgeber waren zudem sehr freundlich, was mir auf Reisen extrem wichtig ist.
Sehenswürdigkeit für Gralssucher und Verwirrte
Auch Tristan hatte schon bizarre Begegnungen auf dem Berg – primär mit religiösen Eiferern, die anderen Menschen den Zugang zu Montségur verbieten wollten. Auch glauben mache Pilger, dass sie die Reinkarnation verstorbener Katharer sind und geben das lautstark kund.
Okzitanien – das geheimnisvolle Land der Katharer
Katharer, Templer, der heilige Gral – in der Fantasieliteratur werden Tatsachen und Legenden bunt vermischt. Einige Leser glauben den wilden Theorien nur zu gerne und durchstreifen die Pyrenäen auf der Suche nach dem heiligen Gral. Tristan hält sich bei seinen Führungen hingegen streng an die historischen Fakten: So erfahren wir, dass in Montségur nur 75 Verteidiger waren. Den zahlenmäßig weit überlegenen Kreuzrittern gelang es dennoch nicht, die Festung einzunehmen. Um den Süden Frankreichs anzugreifen, waren sie extra aus dem heiligen Land zurückgekommen. Denn der Papst hatte erklärt, dass die Katharer schlimmer als die Muslime seien.
Bedrohte die christliche Gemeinschaft mit ihren revolutionären Ideen doch die Macht der katholischen Kirche. Der Papst ging deshalb mit aller Härte gegen die Häretiker vor.
Nach 45 Minuten ist das Ziel erreicht
Nach 45 strapaziösen Minuten erreicht die Gruppe dann ihr Ziel: Die Ruinen von Montségur. Der Ausblick ist sensationell. Von der Katharersiedlung selbst sind aber nur noch wenige Grundmauern erhalten. Und nur ein einziges der von den Archäologen freigelegten Häuser hat deutlich erkennbare Umrisse. Es wird vermutet, dass es einer Priesterin der Religionsgemeinschaft gehörte.
Katharer, Templer und der heilige Gral
Mittlerweile ist auch eine deutsche Reisegruppe auf dem Berg eingetroffen. Einige von ihnen tragen historische Kostüme. Umhänge mit dem roten Kreuz der Templer flattern im Wind. Andächtig verharrt die Gruppe und schwärmt von der mystischen Kraft des Ortes. Der heilige Gral, die Templer und Maria Magdalena sind Gegenstand ihrer Gespräche. Für Tristan gehören diese Verknüpfungen ins Reich der Legenden. Genauso wie die Theorie, die Katharer hätten den heiligen Gral gehütet. Unser Gästeführer gilt als ausgewiesener Experte und engagiert sich auch im örtlichen Museum.
Abstieg zum Museum
Der Besuch im Museum von Montségur ist im Eintrittspreis bereits enthalten und so machen wir uns nach einer ausgiebigen Besichtigungsrunde auf den Rückweg. Der geht dann wesentlich schneller vonstatten als der Aufstieg. Im kleinen Museum hängt hängt ein großer Bildschirm von der Decke, auf dem ein Video läuft: Eine 3D Animation der Katharer-Siedlung und der Verteidigungsanlagen. Tristan hat es selbst produziert und dafür mit den verantwortlichen Archäologen zusammengearbeitet.
Video lässt Okzitanien wiederauferstehen
Im Video ist die Festung von Montségur wuchtig und imposant, wie sie zu Zeiten der Katharer war. Und ihr Name Mont súr – der sichere Berg – erscheint nur zu treffend. Tatsächlich hatten die Kreuzritter die Burg auch nicht einnehmen können; ausgezehrt von Hunger und Kälte gaben die Katharer nach sieben Monaten Belagerung schließlich auf. Durch Tristans Video wird ihr Leben auf dem Berg greifbar.
Die Erben der Katharer
Nach dem Museumsbesuch, der die Grausamkeiten des Kreuzzugs in allen Einzelheiten zeigt, wirkt die friedliche Dorfatmosphäre seltsam fremd: Leuchtendrote Geranien wachsen neben großköpfigen Rosen. Fahnen mit dem okzitanienischen Kreuz wehen im Wind. Und ein Hund liegt träge in der Sonne. Im 140 Seelen-Dorf Montségur gibt es ein kleines Hotel, einen Bäcker und ein ganz besonderes Ehepaar, das die Ideale der Katharer lebt: Anne Mi und Pierre Pigelet bieten selbstgewebte Kleidung und Vorträge zu den Katharern an.
Weiter zur Festung Peyrepertuse
Luftlinie liegen zwischen Montségur und Peyrepertuse keine 80 Kilometer. Doch wegen der unzähligen Serpentinen ist die Fahrt lang und anstrengend. Aber lohnend: Denn wer Peyrepertuse erblickt, fragt sich unweigerlich, wie die Menschen im Mittelalter diese Festung bauen konnten. Sitzen die imposanten Ruinen der Burg doch hoch oben auf einem Felskamm.
Zusammen mit den anderen Festungen in den Pyrenäen bemüht sich Peyrepertuse aktuell um die Anerkennung als UNESCO-Welterbe. Darunter sind echte Katharerburgen, in denen die Verfolgten tatsächlich Zuflucht suchten, und sogenannte unechte, die erst nach dem Ende des Kreuzzuges entstanden. Überall erzählt man mir, wie wichtig der Katharer-Tourismus in der armen, abgelegenen Region ist.
Die wichtigsten Orte der Katharer – Cucugnan
Nur wenige Kilometer von der Felsenburg entfernt liegt das womöglich schönste Dorf der Pyrenäen. Auf jeden Fall ist Cucugnan das meist besuchte Dorf der Region. Eine alte Windmühle aus hellem Kalkstein thront auf einer Anhöhe über dem Ort. Ihre hölzernen Flügel ruhen, als ob sie Siesta in der Mittagssonne halten würden.
Gleich unterhalb der Mühle liegt eine Bäckerei. Hier duftet es nach frischgebackenem Brot. Und gut ein Dutzend Kunden steht geduldig an, um Bio-Kekse, Kuchen und Nudeln zu kaufen. Die 1692 erbaute Mühle darf auch besichtigt werden. Als ich mit einigen älteren Menschen in dem pittoresken Dorf ins Gespräch komme, höre ich weitere Legenden aus der Katharerzeit. Wer Okzitanien verstehen will, muss in die Geschichte gucken – das sagt auch Ingrid Sparbier. Die Hamburgerin lebt seit 30 Jahren in den Pyrenäen und arbeitet als Bergwanderführerin und Reiseleiterin. Regelmäßig führt sie Gruppen über den Katharerweg.
Hotel- und Restauranttipp für Cucugnan
Direkt im Ortskern von Cucugnan liegt die „Auberge Du Vigneron“ – der perfekte Ort für alle Okzitanien-Reisende, die ihr Geschichtsinteresse mit Genuss verbinden wollen. Denn das ehemalige Weinlager ist heute ein überaus geschmackvolles kleines Hotel mit eigenem Restaurant.
Der Katharerweg in den Pyrenäen
Auf 160 Kilometern folgt der Katharerweg den Fluchtwegen der Häretiker. Vom Mittelmeer bis in die Berge. Durch immergrüne Wälder und entlang lieblicher Weinberge. Jeden Tag kommen die Wanderer zu einer anderen Burg. Und über diese Ruinen erschließt sich dann die Geschichte Okzitaniens Stück für Stück. Die Landschaft ist dabei genauso faszinierend wie die Vergangenheit.
Die Katharerburg Quéribus
Zum Abschluss besuche ich noch eine letzte Feste. Nichts rührt sich in dem angelegenen Bergdorf zu Füßen der Burg – außer dem Wind. Er fegt durch die Straßen in Padern, heult in den Ecken und wirbelt die heruntergefallenen Blätter auf. Der Wind ist der eigentliche Herrscher in den Pyrenäen und bestimmt nicht selten das Besichtigungsprogramm von Quéribus. Ingrid Sparbier berichtet, dass es Tage gibt, an denen der Wind so extrem ist, dass niemand die Burg betreten kann. Die Menschen würde es wortwörtlich von den Füßen wehen.
Das Schicksal ist besiegelt
Heute ist der Wind gnädig. Und ich kann die Festung zusammen mit der Expertin besichtigen. Queribus ist eine schwindelerregende Zitadelle, wie ein französischer Romancier die in den Himmel ragenden Felsenburgen der Pyrenäen einmal beschrieb. Quéribus gilt neben Montségur als wichtigste Katharer-Festung, denn hierhin flüchteten überlebende Katharer nach dem Fall von Montségur. Auch hohe Würdenträger ihrer Kirche fanden hier Zuflucht. Elf Jahre nachdem die Scheiterhaufen in Montségur loderten, musste 1255 mit Queribus aber auch der letzte okzitanische Widerstand aufgeben. Und das Schicksal der Katharer war besiegelt.
Die Recherchereise im Land der Katharer wurde von der Region Midi Pyrenees unterstützt. Vielen Dank dafür.
Spannende Frankreich-Artikel
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Heike Loewy meint
Sehr schöner Bericht und ich kann dazu ergänzen, das ich zu Okzitanien einen ganz interessanten Reiseführer gefunden habe. Er listet nicht nur über 150 der schönsten und geheimnisvollsten Kultlätze auf, sondern erzählt dazu die historischen und esoterischen Hintergründe.
Dieses 250 Seiten-Buch gab es sogar in Deutsch in Montségur zu kaufen. Dieser Reiseführer wurde von einem Michael Hock aus Harsewinkel in Westfalen verfasst und im Akasha – Eigenverlag vertrieben. Die Einheimischen in Rennes-le-Chateau und Montségur kannten den Autor und erzählten mir, das er regelmäßig hier in der Umgebung Gruppen und Einzelführungen zu den spirituellen Plätzen der Katharer in den Sommermonaten macht. Ich fahre seit 4 Jahren nach Südfrankreich und habe mich in Okzitanien verliebt.
Lynn meint
Ein ganz toller Artikel, der Erinnerungen wach werden lässt. Meine Eltern hatten lange ein Ferienhaus genau in dieser Gegend. Als Kind bin ich quasi mit all diesen Geschichte rund um die Katharer und Co aufgewachsen. Nach deinem Artikel merke ich, wie sehr mir diese Gegend eigentlich fehlt… Vielleicht sollte ich den 160km lange weg mal in Angriff nehmen. Das klingt ganz großartig.
Viele liebe Grüße,
Lynn
Antje meint
Hallo Lynn, vielen Dank für deinen Kommentar. Ich finde das Land der Katharer auch ganz wunderbar und kann dir nur raten, den Weg tatsächlich einmal zu wandern.