Der Sommer in Schweden ist ein Ereignis. Und womöglich am schönsten auf dem Göta Kanal. Mit dem Kanal hat sich Schweden im 19. Jahrhundert einen alten Traum erfüllt und die Nord- und Ostsee miteinander verbunden. 1832 fertiggestellt, gilt er als größtes Bauwerk des Landes und wichtigstes Industriedenkmal. Auf ihm verkehren noch heute drei historische Passagierschiffe mit Spitzengeschwindigkeiten von zehn Knoten – das sind etwa 18 km/h. Ich habe eine Flusskreuzfahrt auf dem Göta Kanal gemacht und schwärme noch heute von den Farben der Landschaft und der Freundlichkeit der Menschen.
Agatha Christie lässt grüßen
Die Fahrten entlang dichter Wälder und kleiner, bunter Häuser sind pure Nostalgie. Denn die Landschaft hat sich seit den Anfangstagen des Kanals kaum verändert. Und auch an Bord findet sich noch das Interieur vergangener Zeiten: Mich hätte es nicht überrascht, wenn zwischen glänzendem Messing und poliertem Mahagoni plötzlich Hercule Poirot, Agatha Christies berühmter Detektiv, aufgetaucht wäre. Die Touren auf dem Göta Kanal können in unterschiedlicher Länge und Richtung gebucht werden. Grob gesehen, geht es von Stockholm Richtung Göteborg oder umgekehrt, jeweils quer durch Südschweden. Details zu den Routen, Preisen und Terminen gibt es hier.
Abenteuer Schleuse
Jede Fahrt führt durch die vielen Schleusen des Kanals. Und hier bekommt die Flusskreuzfahrt auf dem Göta Kanal sogar einen leichten Abenteuertouch: Denn tosend strömt das Wasser in die großen Becken. Am Schiffsrumpf knirscht es laut, fast bedrohlich. Hektik kommt auf – insbesondere in der längsten Schleuse des Kanals, die einfach nur atemberaubend ist.
Sieben Treppen müssen die Boote auf der Carl Johans Schleuse nach oben klettern. Kein ganz einfaches Manöver und deshalb sind die Crewmitglieder auch hochkonzentriert. Mehrere Passagiere beobachten fasziniert, wie Trainee Anet die groben Seile geschickt löst und schnell wieder festzieht.
Beliebtes Spektakel
Die Wilhelm Tham liegt so eng in der Schleusenkammer, dass weder vorne noch hinten, links oder rechts mehr als ein paar Zentimeter Luft zwischen Rumpf und Mauer sind. Aber natürlich hat Kapitän Kenneth Attefors mit seiner Crew die Schleuse schon hundertfach befahren. Während die Crew manövriert, stehen Dutzende Menschen am Ufer und filmen.
Die Hotel-Alternative am Göta Kanal
Vor Ort bin ich auch auf ein sehr idyllisches Hotel gestoßen: das Göta Hotell.* Es liegt unmittelbar am Kanal: Ihr hört, seht, riecht und spürt das Wasser. Und seid mitten in einer der schönsten schwedischen Landschaften.
Das „Göta Hotell“ hat echten „Countryside-Charme“* und ist für skandinavische Verhältnisse durchaus erschwinglich.
„Frosch-Kapitän“ Kenneth Attefors
Der Kapitän ist während des Manövers in der Schleuse die Ruhe selbst. In seiner weißen Uniform, die Mütze auf dem grauen Haar, steht er von weitem sichtbar neben der Brücke. Und beobachtet wie die jungen Männer und Frauen seiner Crew einander geschickt die Taue zuwerfen. Gelegentlich gibt er einen kurzen Befehl, ansonsten lächelt und grüßt er.
Überall wo die Wilhelm Tham auftaucht, passiert das Gleiche: Die Menschen winken. Machen Dutzende Fotos und versuchen ein paar Worte mit der Besatzung zu wechseln. Kenneth Attefors bleibt stets freundlich und beantwortet geduldig alle Fragen. So erfahre ich, dass er der wahrscheinlich älteste Sommerjobber Schwedens ist. Zumindest bezeichnet er sich selbst so. Denn Kenneth ist 70. Seit zwanzig Jahren fährt der ehemalige Hochsee-Kapitän auf dem Göta Kanal. Seine früheren Kollegen haben ihm deshalb den Spitznamen „Frosch-Kapitän“ verliehen. Doch Kenneth liebt seinen „Froschteich“, den Göta Kanal. Und ich auch.
Die Farben des schwedischen Sommers
Der Sommer auf dem Göta Kanal ist atemberaubend schön: Die Farben sind so intensiv, dass sie fast künstlich wirken. Hellblau strahlt der Himmel über dem weißen Schiff. Türkis schimmert das Wasser an seinen Flanken. Und grün leuchten die Wiesen und Wälder am Ufer.
Überall entlang des 190 Kilometer langen Kanals stehen rote Holzhäuschen. Und wer Glück hat, sieht sogar einen Elch aus den dichten Wäldern treten. Die allerschönsten Farben bringt die Landschaft dann in den Abendstunden hervor.
20 Jahre Buddeln
Knapp die Hälfte der Wasserstraße wurde mühsam von Hand gegraben: 58.000 schwedische Soldaten buddelten 20 Jahre lang, bis die Fahrrinne fertig war. Die restliche Strecke verläuft über natürliche Wasserwege. Darunter die drei größten Seen des Landes. Dass das Mammutprojekt überhaupt begonnen wurde, hatte primär mit den dänischen Nachbarn zu tun. Denn die hatten hohe Zölle auf alle Waren verhängt, die die Schweden über dänisches Hoheitsgewässer transportierten. Als der Kanal fertig war, strichen die Dänen umgehend die Steuern. Wussten sie doch, dass sie so ihre Nachbarn ärgern konnten.
Der Göta Kanal ist ein lebendiges Industriedenkmal – und ein Touristenmagnet. Das haben die Schweden früh erkannt und ihre maritimen Schätze vor dem Abwracken gerettet. So sind die drei letzten verbliebenen historischen Passagierschiffe in Schweden als Kulturerbe anerkannt.
Das älteste Kreuzfahrtschiff
Mit der Juno verfügt die Göta Kanal-Reederei sogar über das älteste noch aktive Kreuzfahrtschiff der Welt. 1874 lief es im schwedischen Städtchen Motala vom Stapel. Die Wilhelm Tham stammt von 1912 und misst 31 Meter. Beide Schiffe sind nach der Größe der Schleusen gebaut – und die sind exakt 32 Meter lang, weil russische Kriegsschiffe damals eine Gesamtlänge von 34 Metern hatten. So wollten die Schweden verhindern, dass die Russen im Kriegsfall ihre Schleusen nutzen.
Pure Nostalgie an Deck
Heute kommen die Russen höchstens als Passagiere. Und auch das ist eher die Ausnahme. Die Schweden selbst stellen die größte Besuchergruppe. Gefolgt von deutschen und amerikanischen Gästen. Sie alle werden von Mimi, der Salonstewardess, in Empfang genommen und herumgeführt. Sie zeigt die „Honesty Bar“, die ehrliche Bar, wo Gäste selbst notieren, was sie verzehren. Und auch Duschen und Toiletten, die auf den Schiffen gemeinschaftlich genutzt werden.
Klein, aber sehr fein
Dunkles Holz schimmert. Messing glänzt. Und auf dem frischbezogenen Bett liegen flauschige Handtücher und ein Bademantel. Gleich daneben eine kleine Flasche Champagner und ein Obstkörbchen. So schön die Kabinen sind, so klein sind sie. Die schmalen Betten liegen zwar übereinander, dennoch ist der Platz sehr beengt. Paare, die eine Kabine teilen, sollten einander wirklich zugetan sein. Die meiste Zeit verbringen die Passagier während der Flusskreuzfahrt auf dem Göta Kanal aber eh an Deck.
Schwedischer Scheidungsgraben
Ich unterhalte mich mit den liebenswerten schwedischen Passagieren und erfahre, dass der Göta Kanal einen originellen Spitznamen hat: Scheidungsgraben. Viele Urlauber fahren mit ihrem eigenen Booten von Schleuse zu Schleuse. Und kollidieren dabei mit den Kammern. Die Schuld gegen die Männer offenbar regelmäßig ihren Ehefrauen, was schon zu einigen ernsthaften Zerwürfnissen geführt haben soll.
Stimmungsvolle Landausflüge
Stippvisiten an historischen Orten und Museumsbesuche sind ein wichtiger Teil der Flusskreuzfahrten. Und so marschieren trotz hochsommerlicher Temperaturen fast alle Passagiere zusammen mit Guide Olof drei Kilometer bergauf. Umgeben von Gärten und einem kleinen Friedhof steht hier eine alte Kirche.
Kirche und Klosterruine von Vreta
Vreta war einmal das erste Nonnenkloster des Landes. Nach der Reformation durfte es aber keine Nonnen mehr aufnehmen und die letzte Zisterzienserin starb hier 1582. Dennoch ist die klösterliche Atmosphäre noch sehr gegenwärtig.
Relaxen im Klostergarten
Neben der Kirche liegt der alte Klostergarten: Duftender Lavendel wächst in den Beeten. Hummeln umschwirren die Blüten. Und ein großes Holzkreuz wirft einen mächtigen Schatten. Die Passagiere verweilen gut eine Stunde im idyllischen Klostergarten. Gehen dann geschlossen zurück zur Wilhelm Tham, wo ein Programmpunkt ansteht, der mindestens so wichtig ist wie die Ausflüge: das Abendessen. Salonstewardess Mini läuft über die Decks und ruft die Gäste mit einem weithin hörbaren Gong in den Speisesaal. Und tief aus dem Inneren des Schiffes, wo die Passagiere normalerweise keinen Zugang haben, tauchen die Mahlzeiten auf. Mimi und ihre Kollegin mühen sich mit dem Speiseaufzug ab, der das Essen aus der Kombüse nach oben befördert.
Landgang wird gestrichen
Der Abend klingt an Deck aus. Rotgoldenes Licht fällt auf die alten Holzplanken. In warme Decken gehüllt, genießen die Passagiere ihren Digestif. Einmal unterbricht die Schiffssirene die Stille – sie ertönt, wenn die Wilhelm Tham ganz besondere Orte passiert: Wie das Grab von Baltzar von Platen. Dem Erbauer des Göta Kanals. Mehr über den Pionier, der das Projekt gegen alle Widerstände durchsetzte, sollen die Passagiere im Städtchen Motala erfahren. Doch über Nacht ändert sich aber das Wetter. Wind kommt auf. Und Kapitän Kenneth streicht den Landgang kurzerhand, da er den Vättersee überqueren will, so lange die Wellen noch erträglich sind.
Wie auf hoher See
Bei Südwind türmen sich die Wellen auf dem langen See auf. Was für die Crew „business as usual“ ist, bringt manche Passagiere in arge Nöte. In der Hoffnung, dass sich das Wetter und der eigene Magen beruhigen, starren sie auf den Horizont. Nach zwei endlos langen Stunden ist der See überquert und das Schaukeln hat ein Ende. Die Wilhelm Tham fährt wieder in ruhigen Gewässern: Auf einem schmalen Fluss, der durch dichte Kiefernwälder führt. Nebel kommt auf. Dichte, weiße Schwaden verhüllen die Bäume. Zwischen ihnen bewegt sich etwas. Doch was? Solche Tage haben Hans Christian Andersen zu seinen Troll-Geschichten animiert, erzählt Kenneth. Wie schön Schweden im Winter ist, könnt ihr hier nachlesen.
Abschied nehmen
Beim letzten Dinner ist die Stimmung ein wenig getrübt. Doch als die Sonne wieder herauskommt, und mit ihr die Farben des schwedischen Sommers, steigt die Laune der Passagiere wieder. Am nächsten Vormittag erreicht die Wilhelm Tham dann Mariestad. Eine pittoreske Holzstadt, etwa zwei Stunden von Göteborg entfernt. Zum Abschied wird der rote Teppich ausgerollt. Kapitän Kenneth, Trainee Anet, Salonstewardess Mimi und alle anderen stehen Spalier und verabschieden jeden Gast mit Handschlag.
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Die Flusskreuzfahrt auf dem Göta Kanal wurde von visitsweden und Nordic holidays unterstützt. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit.
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Brigitte Hörnicke, Tyskland meint
Vi gjorde resan i 1991 och har ännu inte glömt alla fina intryck! Det var ortroligt, jag kan bara rekommenderar turen!
Antje meint
Liebe Brigitte, leider ist mein Schwedisch sehr dürftig, aber ich glaube, dass „jag kann bara rekommenderar turen“ auf Deutsch: „ich kann die Touren nur empfehlen“ bedeutet. Und da kann ich mich deiner Einschätzung nur anschließen: Die nostalgischen Fahrten auf dem Göta Kanal sind traumhaft.
Danke für das Interesse,
Antje
Susanne meint
Liebe Antje,
da musste ich doch wirklich erst einmal Google zu Rate ziehen um mir den Streckenverlauf des Kanals anzusehen. Jetzt bin ich schlauer und total beeindruckt. Was für ein Bauwerk!
Die Fahrt gefällt mir sehr gut. Der Sprung zurück in die Vergangenheit auf diesem nostalgischen Schiff ist wunderschön. Landschaftlich muss die Fahrt auch wunderschön sein, deine Bilder lassen vermuten, dass man wirklich nur genießen sollte, wenn man an Deck sitzt.
Ein super Tipp, den ich mir unbedingt merken muss!
Danke, lieben Gruß Susanne
Antje meint
Liebe Susanne,
das hast du ganz richtig beschrieben: Die fahrt auf dem Göta Kanal kann man einfach nur genießen. Und zusammen mit den liebenswerten Schweden die tolle Landschaft und die sensationellen Sonnenuntergänge bewundern.
Vielen Dank für dein Interesse,
Antje
Anita meint
Halllo, liebe Antje!
Vielen Dank dass du einen meiner Göteborg-Artikel verlinkt hast. Ich musste auch mal Tante G zu Rate ziehen, um mir den Streckenverlauf genau anzusehen. Da es wirklich einmal quer durch den Süden Schwedens geht, kann ich mir vorstellen, wie traumhaft das sein muss, ein paar Sommertage am Göta-Kanal erleben zu dürfen. Land und Leute haben es mir in Schweden wirklich angetan und deine Reise mal selbst erleben zu dürfen reizt mich wirklich sehr. Danke für diesen Tipp!
GLG aus Kärnten, Anita
Antje meint
Sehr gerne – wobei der Sommer in Kärnten nun wirklich auch seinen Reiz hat.
Jessica meint
Hallo Antje,
dein Artikel lässt mich grade Sehnsüchtig an meine Flusskreuzfahrt durch die Normandie denken. Hach, habe ich es genossen durch die Schleusen zu fahren und einfach mal ein bisschen Slow-Travel zu machen. Ich kann deine Begeisterung nur teilen!
Lies doch mal hier weiter: https://yummytravel.de/a-rosa-viva-normandie-seine/
Liebe Grüße
Jessica
marina goetsch meint
eine kurze frage :
wie sieht es im sommer mit mücken aus?
l.g.
Antje meint
Hallo, ich erinnere keinen einzigen Stich. Kann aber nicht beurteilen, ob das repräsentativ ist. Dieser Artikel geht im Detail auf das Thema ein und gibt auch Entwarnung: https://www.schwedentipps.se/muecken/ Der Trip auf dem Göta Kanal ist auf jeden Fall ein Traum. LG Antje