Steinpilze, Pfifferlinge und Maronenröhrlinge – das Rothaargebirge rund um Bad Laasphe ist bekannt für seine vielen Speisepilze. Früher galt der September als pilzreichster Monat in der Region, doch seit drei Jahren ist alles anders: die Pilze kommen später – oder gar nicht. Auch tauchen plötzlich Arten auf, die eigentlich im Mittelmeerraum beheimatet sind. Experten sehen einen klaren Zusammenhang mit dem Klimawandel. Ich bin mit Volker Walther, dem Leiter des örtlichen Pilzmuseums, Ende Oktober in die Pilze und ins Museum von Bad Laasphe gegangen. Unterwegs hat der „Pilzpapst“ auch die Frage aller Fragen beantwortet: Sterben Steinpilze aus?
Faszinierende Lebewesen – doch sterben Steinpilze aus?
Gut 200.000 Pilze kennt die Wissenschaft. Doch die Dunkelziffer ist weit höher: Mykologen, wie Pilzwissenschaftler korrekt heißen, gehen von zwei oder drei Millionen Arten aus. Dass die Mykologie noch weitgehend unerforscht ist und dass Pilze so vielfältig sind, hat Volker Walther bereits im Studium fasziniert. Er hat in Marburg Biologe studiert und seine Diplomarbeit über Helmlinge geschrieben: Die unauffälligen Pilze werden auf den ersten Blick leicht übersehen, aber wer genauer hinschaut, sieht wunderschöne Lebewesen mit gefärbten Lamellenschneiden und irren Farben.
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Im Museum und in der Natur
50 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt Volker Walther im Pilzmuseum von Bad Laasphe, wo er das macht, was Wissenschaftler gemeinhin tun: Er forscht, analysiert und seziert unter dem Mikroskop. Die anderen 50 Prozent ist der 53-Jährige im Rothaargebirge rund um Bad Laasphe unterwegs und führt Gruppen durch die herbstlich bunten Wälder. Für diese Touren kann der Experte extra gebucht werden. Und so streifen wir durch ein Waldstück in der Nähe von Bad Laasphe und sehen – neben dem wunderschönen Indian Summer – die Trockenschäden im Fichtenbestand.
Fichtensterben führt zu Pilzsterben
Um uns herum sind große Flächen kahlgerodet. Hier steht kein Baum mehr. An anderen Stellen ragen schwarze, nackte Fichten in die Höhe. Ihre Äste sind dunkel und knorrig, wirken fast verbrannt. Selbst nachdem es im Oktober wochenlang geregnet hat, wachsen unter den abgestorbenen Fichten kaum Pilze. Doch Volker Walther beruhigt. Es gibt immer noch Orte, an denen die begehrten Speisepilze vorkommen. Und so gehen wir weiter: es wird immer kühler und feuchter. Die Wanderschuhe schmatzen im Schlamm. Dichtes, sattgrünes Moos wächst am Wegesrand. Und darunter leuchtet es goldgelb: Pfifferlinge.
Pfifferlinge Ende Oktober
Der Pilzpapst zeigt eine Stelle, wo die Pfifferlinge in der Vergangenheit schon früh im Jahr zu finden waren. Doch das war früher. Lange tat sich hier überhaupt nichts mehr. Bis jetzt. Ende Oktober, wo die Pilzzeit eigentlich schon vorbei ist, kommen sie auf einmal hervor und verströmen einen intensiven Geruch: nach Erde, Feuchtigkeit und Aprikose.
Sterben Steinpilze aus?
Die letzten drei Jahre beschreibt der Biologe als katastrophal. „Ich mache mir Sorgen, wie es weiter geht“, sagt er. Das unterirdische Pilzgeflecht sei zwar recht widerstandsfähig und trockene Jahre habe es immer mal wieder gegeben, aber was passiert, wenn sich ein trockenes Jahr an das nächste reiht, weiß niemand. Ob die Pilze dann weitgehend verschwinden? Bestimmte Arten sogar ganz aussterben? Auffallen wird es den meisten Menschen wahrscheinlich nur, wenn gesuchte Speisepilzarten darunter sind.
Partnerschaft von Pilzen und Fichten
Dutzende Arten, darunter der begehrte Steinpilz, leben in enger Partnerschaft mit der Fichte. Doch noch ist es zu früh, um zu sagen, wie sich das Fichtensterben auf den Steinpilz-Bestand auswirken wird. Denn der Steinpilz kann auch mit anderen Bäumen wachsen. Und das ist die aktuell spannende Frage: Wird der Steinpilz vermehrt mit anderen Partnern vorkommen? Oder wird er weniger und weniger werden? Streng an die Fichte gebunden, ist der Fichtenreizker, ein weniger bekannter Speisepilz. Und es gibt auch kleine Pilze, wie den Fichten-Zapfenrübling, der zwingend Fichtenzapfen braucht, um überhaupt wachsen zu können. Diese Arten werden definitiv mit den Fichten sterben.
Zum Schutz beitragen
Viele Pilze stehen in der Artenschutzverordnung. Auch Steinpilze und Pfifferling sind geschützt. Für den eigenen Bedarf dürfen sie aber in kleinen Mengen gepflückt werden: 1 Kilo ist hier die Richtmenge. Untersuchungen haben gezeigt, dass maßvolles Pilzsammeln den Bestand nicht gefährdet. Wer aber aus Gier zu viel pflückt, wird womöglich in den Folgejahren nicht mehr fündig. Denn die Fruchtkörper werden vom unterirdischen Pilzgeflecht nur aus einem Grund angelegt: damit der Pilz sich vermehren kann.
In der momentanen Situation, in der viele Pilze durch die Trockenheit gestresst sind und kaum noch Fruchtkörper bilden, sollten sich die Sammler nach Ansicht des Experten zurückhalten. Wer riesige Steinpilze aus dem Wald schleppt, die bereits halb vergammelt und zum Verzehr nicht mehr geeignet sind, schadet der Natur. Denn der Fruchtkörper ist voller Sporen, die der Fortpflanzung dienen. Wer Pilze liebt, sammelt rücksichtsvoll.
200 essbare Arten, aber sterben Steinpilze aus?
Essbar sind ohnehin nur rund 200 Arten. Die Natur braucht aber auch die Pilze, die für uns giftig sind – denn Bäume leben in enger Symbiose mit abertausenden Pilzen. Sie tauschen wichtige Nährstoffe aus und können ohne einander nicht existieren. Deswegen sollten auch keine Fliegenpilze oder Knollenblätterpilze achtlos umgetreten werden. Sie werden gebraucht! Früher war Mitte Oktober im Rothaargebirge immer Schluss für die Pilzfreunde. Wenn der erste Frost kam, verschwanden die wohlschmeckenden Fruchtkörper. Doch das ändert sich gerade und Volker Walther macht sogar Hoffnung für die Wochen bis Weihnachten.
Neue Speisepilze in Deutschland
Die klimatischen Veränderungen bringen noch weitere Veränderungen mit sich, die für Aufsehen sorgen. Vor allem wenn neue, delikate Speisepilze plötzlich in Deutschland gesichtet werden, wie der Kaiserling. Er ist ein Doppelgänger vom Fliegenpilz; hat aber gelbe Lamellen und wächst eigentlich nur im Mittelmeergebiet. Der Kaiserling ist ein begehrter Speisepilz und war früher den Kaisern vorbehalten. Daher der Name. 2020 gab es große Aufregung in den Pilzforen, weil er in Gießen und auch im Westerwald, nur rund 30 Kilometer von Bad Laasphe, gefunden wurde.
Das einzige Pilzmuseum in NRW klärt die Frage: Sterben Steinpilze aus?
Womöglich bringt bald ein Pilzsammler einen Kaiserling zu Volker Walther ins Museum. So ist die Mehrzahl der Exponate in die große Ausstellung gekommen, die in der zweiten Etage der Tourist Information von Bad Laasphe untergebracht ist. Über 900 verschiedene Arten stehen im Museum. Und eine weitere Besonderheit des Museums ist, dass man hier echte Fruchtkörper sieht. Bei dem Verfahren wird den Pilzen das Wasser entzogen, sodass nur noch die restliche Substanz übrigbleibt. Die Pilze sind dann ganz leicht und zerbrechlich, aber perfekt, um sie zu bewundern.
Gut zu wissen: Im Pilzmuseum werden auch regelmäßig Seminare für Einsteiger und Fortgeschrittene angeboten. Die nächsten Termine sind am 07.10. – 09.10.22 und 14.10. – 16.10.22.
Kostenlose Expertise
Ob ein Pilz tatsächlich in die Pfanne darf, erfahren Besucher des Pilzmuseums auch. Denn Volker Walther bietet einen besonderen Service an: Wer mit seinem Körbchen im Museum vorbeikommt, erhält eine kostenlose Expertise. Und dazu noch einen kleinen Einblick in die faszinierende Welt der ungewöhnlichen Lebewesen. Das Museum ist Mittwoch bis Samstag geöffnet und lohnt wirklich den Besuch.
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