Die Wisent-Wildnis gleicht in diesen Tagen einer Märchenlandschaft. Dichter Schnee liegt auf Tannen und Wegen. Strahlend hell steht der Vollmond am nächtlichen Himmel und beleuchtet die Berge und Täler des Rothaargebirges. Es herrscht vollkommene Stille, die nur vom Knirschen einiger Schneeschuhe durchbrochen wird. Schweigend stapft eine kleine Gruppe durch die weiße Landschaft, denn niemand möchte die besondere Stimmung stören. Sie erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Wanderer plötzlich vor den mächtigen Wisenten stehen. Eine faszinierende Begegnung, die so schnell niemand vergisst. Denn der Winterbesuch bei den Wisenten am Rothaarsteig ist eine der schönsten Wildtier-Begegnungen, die NRW zu bieten hat.
Mystisches Erlebnis im Wald
Natur- und Landschaftsführerin Heidi Dickel ist im Rothaargebirge zuhause. Und Tierbegegnungen gehören zu ihrem Alltag. Doch auch für sie war das erste Treffen mit den Wisenten ein besonderer Moment, denn die Tiere sind einfach gewaltig. Wer sich an die Bissons aus den amerikanischen Western erinnert, hat ein ungefähres Bild vor Augen.
Seit drei Jahren dürfen die Tiere in Begleitung der Naturführerin auch in Vollmondnächten besucht werden. Gut zwei Stunden wird gewandert. Es geht querfeldein. Bergauf und Bergab. Und zweimal über den Rothaarbach. Unterwegs entdeckt die Gruppe Tierspuren im Schnee, hört nächtliche Vogelrufe und freut sich über die ungewöhnlichen Sinneseindrücke.
Kleine Herde weckt großes Interesse
Höhepunkt der Mondscheinwanderung ist natürlich die Begegnung mit den Wisenten. Und die Chance, die Tiere auch tatsächlich zu sehen, liegt laut Heide Dickel bei 95 Prozent. Die Natur- und Landschaftsführerin kennt das Rothaargebirge wie ihr eigenes Wohnzimmer und veranstaltet die Vollmondwanderungen seit 2014. Sie hat eine ganz besondere Beziehung zu den Wisenten entwickelt. Und obwohl die Pflanzenfresser ausgesprochen friedliebend sind, müssen manche Besucher doch schlucken, wenn unvermittelt der große Bulle vor ihnen steht. Heidi Dickel informiert auf den Touren stets ausführlich über die Herde und beantwortet geduldig Fragen.
Intensiv bejagt und beinahe ausgerottet
Zurzeit leben acht Tiere in dem großen Gehege. Einst wurden die größten Landsäugetiere Europas so intensiv bejagt, dass sie bereits vor Jahrhunderten als ausgestorben galten. Lediglich in abgelegenen Regionen konnten einige Individuen überleben. 1927 wurde dann auch das letzte frei lebende Exemplar im Kaukasus erschossen. Die dadurch entstandene Lücke im Ökosystem unseres Kontinents wollen Wissenschaftler durch intensive Züchtungen wieder schließen. Für diesen Versuch standen ihnen allerdings nur noch einige wenige Tiere aus Zoos und Freizeitparks zur Verfügung, so dass alle heute lebenden Wisente miteinander verwandt sind. Die gesamte Population wird mittlerweile wieder auf ca. 4.600 Tiere geschätzt. NRW ist mittlerweile Heimat von zahlreichen Wildtieren: Kennt ihr die Amphibien-Führung auf Zeche Zollverein? Oder die Gänse-Exkursionen auf der Bislicher Insel?
Einzug ins Rothaargebirge
Im April 2013 ist eine kleine Herde im Rothaargebirge ausgewildert worden. Genau genommen sind es zwei Gruppen: die sogenannte Artenschutzherde lebt komplett frei in den Wäldern des Rothaargebirges. Von den aktuell 20 Tieren sind die meisten sogar bereits in Freiheit geboren. Eine andere, kleinere Gruppe mit aktuell acht Mitgliedern kann in einem naturbelassenen Besucherareal bewundert werden. „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ lautet der korrekte Name, der Besuchern auch gleich eine geographische Orientierung liefert. Ist der Rothaarsteig doch einer der beliebtesten Wanderwege Deutschlands.
Dem Tourismus in der Region Wittgenstein hat das ambitionierte Artenschutzprojekt einen enormen Zuwachs beschert. Doch was die Tierfreunde freut, ärgert die örtlichen Waldbauern. Denn die mächtigen Tiere haben einen ebensolchen Appetit. Und stillen diesen gelegentlich auch an fremden Baumrinden. In Nachbars Garten schmeckt bekanntlich alles besser. Großzügige Entschädigungszahlen sollen die Bauern eigentlich über den erlittenen Verlust hinwegtrösten, doch aktuell wird immer noch prozessiert.
Vollmondwanderung in der Wisent-Wildnis
Die fraglos schönste Möglichkeit die Wisent-Wildnis mit ihren zotteligen Bewohnern kennenzulernen, ist eine Vollmondwanderung durch das Areal. Sie wird jeden Monat von Heidi Dickel angeboten und ist stets ein besonders intensives Naturerlebnis. Gestartet wird je nach Jahreszeit zwischen 18 und 20 Uhr. Und wer das Erlebnis noch verlängern möchte, kann seit kurzem unmittelbar im Wald übernachten. Heide Dickel hat zwei Schäferwagen luxuriös aufgerüstet.
Nächtigen mitten im Wald
Die Schäferwagen haben keinen festen Standort, sondern wechseln je nach Jahreszeit und individuellem Kundenwunsch den Platz. Wer möglichst nah an den Wisenten übernachten möchte, bekommt natürlich auch diesen Wunsch erfüllt. In der Regel sind die romantischen Stellplätze nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen. Auf Wunsch wird zudem eine rustikale Brotzeit oder ein üppiges Frühstück ans Bett gebracht. Die Übernachtung für zwei Personen in den Luxus-Wagen kostet 150 Euro.
Schreibe einen Kommentar