Mitten im Wald liegt ein kleiner, runder Bau aus Kalkstein. Die Tür öffnet sich und wir dürfen eintreten – in eine dunkle, feuchte und geheimnisvolle Welt. Gleich vor uns liegt eine stählerne Treppe, die in die Tiefe führt. Der Gästeführer drückt uns kleine Karbidlampen in die Hände. Spärliches Licht geht von ihnen aus und huscht über die Wände, während wir langsam und vorsichtig hinabgehen – in das Silberbergwerk von Tarnowitz.
30 Meter führt die Treppe hinab und endet in einer niedrigen Höhle. Ich höre bereits das leise Rauschen, bevor ich ihn dann sehe: den unterirdischen Fluss der schwarzen Forellen.
Der schwarze Forellen Stollen im Silberbergwerk von Tarnowitz
Der „Schwarze Forellen Stollen“ gehört zum polnischen Silberbergwerk von Tarnowitz. Am 9. Juli 2017 hat die UNESCO das Bergwerk zum Weltkulturerbe erklärt, weil es Techniken entwickelt hatte, die ihrer Zeit weit voraus waren. Über die erfahren Besucher mehr in der Friedrich-Grube und dem Museum der Anlage – aber ich wollte unbedingt zuerst zum unterirdischen Fluss, weil er Abenteuer pur bietet.
Ein kleines bisschen Mut braucht ihr für beide Führungen. Wer unter Klaustrophobie leidet, ist in der unterirdischen Welt falsch. Und Wasserscheue dürften möglicherweise auch Probleme haben. Alle anderen werden diesen Ausflug vermutlich genauso genießen wie ich. Die Kombi-Tickets sind günstiger, aber ihr könnt die Touren auch einzeln buchen.
Bootsfahrt im Dunklen
Wir sind 30 Meter unter der Erde. Tropfen fallen von der Decke und landen mit einem leisen Plong auf meinem Kopf. Links und rechts türmt sich raues Dolomitgestein auf. Im Schein der Lampen schimmert es in allen Tönen zwischen grün und braun. Für die unterirdische Bootsfahrt ist Thaddeus Kaminski verantwortlich. Ein kleiner, drahtiger Mann, der sich geschickt auf den feuchten Steinen bewegt und geduldig Anweisungen gibt: Auf keinen Fall die Hände ins Wasser halten! Dann zieht er schwungvoll an einem dicken Tau: nacheinander tauchen die Boote auf. Sie sind aus Stahl. Mit hölzernen Planken. Und füllen fast die gesamte Breite des Flusses aus.
Unterirdischer Grubenfluss
1957 hatte ein cleverer Tarnowitzer die Idee, den unterirdischen Fluss touristisch zu nutzen. Und so wurden die Boote nach unten in den Stollen gebracht. Denn wer hat schon so etwas vorzuweisen? Zumal hier noch die geheimnisvollen Forellen schwimmen. Ich warte ungeduldig, bis Thaddeus Kaminski alle Fahrgäste platziert hat. Die Boote schwanken hin und her, bis alle sitzen. Dann startet die Fahrt.
600 Meter des unterirdischen Flusses dürfen wir befahren. Der Stollen ist nur 1,30 Meter breit, aber stellenweise bis zu vier Meter hoch, was ihm etwas kathedralenhaftes gibt. Die Stimmen hallen und jedes Geräusch wird verstärkt. So gibt es jedes Mal einen kleinen Knall, wenn unsere Boote gegen die Wand stoßen.
Wie in einer Kathedrale
Glasklares Wasser schimmert im Silberbergwerk von Tarnowitz
Das Wasser ist so klar, dass jedes Detail im Fluss zu erkennen ist. Der Boden schimmert grünlich. Winzige Partikel tanzen im Licht der Lampen. Unweigerlich stecken die ersten ihre Hände in den Fluss. Auch ich muss zumindest einmal dieses Wasser auf meiner Haut spüren. Doch dummerweise verscheucht unsere Planscherei die eigentlichen Bewohner des flachen Flusses: die schwarzen Forellen. Gelegentlich tauchen sie aber doch vor einer Kameralinse auf.
Das Tageslicht hat uns wieder
Nach rund 30 Minuten endet die Fahrt. Thaddeus Kaminski hilft den Besuchern aus den Booten. Und bringt sie Richtung Ausgang. Eine enge Wendeltreppe führt hier wieder nach oben. Für den Aufstieg brauchen wir deutlich länger als der Abstieg. Außer Puste kommt dann einer nach dem anderen oben an. Das grelle Sonnenlicht blendet und das Herz rast. Doch das schmälert die Begeisterung nicht. Genau wie ich schwärmen die anderen Besucher in ihrer jeweiligen Sprache.
Das zweite unterirdische Programm
Mit ein paar Strophen des Tarnowitzer Glöckleinslied startet Sebastian Musik die Führung in der Friedrich-Grube von Tarnowitz. Das Silberbergwerk von Tarnowitz ist ein riesiges Gewirr aus unterirdischen Gängen, aber aktuell dürfen Besucher nur den „Schwarze Forellen Stollen“ und die Friedrich-Grube besichtigen. Die kleine Gruppe marschiert geschlossen zum Aufzug. Alle quetschen sich in die Kabine und dann geht es 40 Meter in die Tiefe. In den Schacht Schlange. Wo es wieder dunkel, feucht und eng ist: 10 Grad Celsius und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit – die klimatischen Verhältnisse haben sich seit dem Mittelalter nicht verändert.
Auf Betonplatten, die eigens für die Besucher verlegt wurden, geht es vorwärts. Die früheren Bergarbeiter mussten im Schlamm durch das Silberbergwerk waten. Das viele Wasser war damals Fluch und Segen zugleich. Und letztlich auch der Grund, warum Tarnowitz jetzt zum Welterbe zählt.
Preußische Pionierarbeit im Silberbergwerk von Tarnowitz
Die Bergleute mussten das Wasser loswerden, weil es ihre Arbeit behinderte. Zugleich ist Wasser natürlich sehr wertvoll, da die Menschen nun mal trinken müssen. Die Gruben entwässern und die Stadt zugleich mit frischem Trinkwasser versorgen – diese Pionierarbeit hat der preußische Berghauptmann Friedrich Wilhelm von Reden geleistet. Mit Dampfmaschinen ließ er das Wasser an die Oberfläche pumpen.
Fließendes Trinkwasser in Tarnowitz
Bereits 1797 konnten die Einwohner von Tarnowitz so zu Rohren marschieren, die in der Stadt endeten, und sich fließendes Wasser abzapfen. Ende des 18. Jahrhunderts ein revolutionäres Unterfangen. Das auch Goethe zu einem Besuch in Schlesien animierte. Der preußische Bergbauhauptmann von Reden zeigte dem berühmten Gast persönlich das Silberbergwerk von Tarnowitz.
12 Stunden im Dreck
Je weiter wir bei der Führung in die Grube eindringen, desto niedriger werden die Gänge. Mit eingezogenen Köpfen laufen wir durch die engen Gänge. Unsere Schritte hallen. Und die ersten atmen schwer. Nach ein paar hundert Metern stoppt Sebastian Musik und macht sich an einigen Lichtschaltern zu schaffen. Dutzende Lampen leuchten auf und erhellen winzige Kammern im Fels. Sie sind gerade einmal einen halben Meter hoch. In ihnen, erzählt der Gästeführer, verbrachten die Männer liegend ihre Arbeitstage: 12 Stunden lang lagen sie im Dreck und klopften Erz von der Wand.
Knappen waren ihre eigenen Herren im Silberbergwerk von Tarnowitz
Doch die Mühe hat sich gelohnt. Nach 15 Jahren Plackerei im das Silberbergwerk von Tarnowitz konnten sich die Männer zur Ruhe setzen und ein angenehmes Leben führen. Denn im Gegensatz zu einfachen Bergmännern, die für die Besitzer der Grube schufteten, gehörten den Knappen ein paar Schächte. Aber auch sie zahlten mit kaputten Knien, geschundenen Rücken und belasteten Lungen. Die Hoffnung auf Reichtum und Unabhängigkeit zog dennoch Menschen aus ganz Europa ins frühere Schlesien: Franken, Sachsen, Thüringer, Polen und Tschechen. Sie alle haben Hand in Hand in der Grube gearbeitet. Tarnowitz war bereits im Mittelalter sehr europäisch.
Silberbergwerk von Tarnowitz hat Landschaft für immer geprägt
Gut vier Fünftel des neuen Welterbes befinden sich unter der Erde, etwa ein Fünftel sind oberirdische Flächen und Bauwerke. Der Bergbau hat die Landschaft für immer geprägt. 20.000 Schächte durchbohren die Erde wie ein Schweizer Käse. Aus dem aufgeschütteten Erdreich sind überall Hügel entstanden. Auch im städtischen Park liegen sie dicht an dicht.
Die Spuren des Bergbaus ziehen sich durch die ganze Stadt. Auf dem Marktplatz thront die Statue eines Knappen – das Karbidlämpchen in der Hand. Und im Schatten der katholischen Peter und Pavel Kirche steht ein massiver Holzturm. Das Holz ist dunkel und alt. Und der Turm mutet wie eine mittelalterliche Befestigungsanlage an. In seiner Mitte hängt eine Glocke. Mit ihr wurde der Beginn und das Ende der Schicht verkündet. Letzteres Geläut sehnten die Bergmänner jeden Tag herbei.
Polen als Reiseland entdecken
Polen wird als Reiseland unterschätzt. Ich habe mittlerweile einige der polnischen Woiwodschaften (Provinzen) besucht – sie bieten prächtige Paläste, charmante Dörfer und menschenleere Landschaften – zu extrem günstigen Preisen! Hier findet ihr eine Auflistung der faszinierendsten Orte in unserem Nachbarland.
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Die Recherchereise wurde vom polnischen Tourismusbüro unterstützt. Vielen Dank dafür.
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